Nachhaltigkeitsbildung als Grundbaustein frühkindlicher Bildung

Referenten der 2. Fachtagung vom 02. bis zum 03. Februar 2012:


Handout von Frau Dr. Irmgard M. Burtscher:

Nachhaltigkeitsbildung als Grundbaustein frühkindlicher Bildung: 2. Fachtagung

Methoden und Inhalte des elementaren Forschens

Einsatzmöglichkeiten in der Bildung für nachhaltige Entwicklung

Papenburg, HÖB, 3. Februar 2012


Ausgangsfragen:

Welche Grundlagen und Schlüsselqualifikationen brauchen Kinder, um sich in einer Welt der rasanten Technik-Entwicklung verantwortlich bewegen zu können? Und wie können nachhaltige und komplexe Denk- und Arbeitshaltungen bei Kindern gefördert werden?

Hier wird ein pädagogischer Ansatz vorgestellt, der den Kindern in ihrem Lebensbereich folgt (Burtscher, Krug, Schmid u. a. 2007).


Aspekte nachhaltigen Forschens

1. Elementare Technik im weitesten Sinn

2. Das Kind, das aus eigenem Antrieb die Welt erkunden will

3. Die veränderte Rolle der Pädagogen als Lernbegleiter

4. Methodische Vielfalt

5. Projektarbeit: Projektdynamik und Projektverlauf; Forschen im Alltag

6. Öffnung nach Außen, Bildungspartner und Bildungsorte

7. Außenwirkung: Kindergarten ist Bildungseinrichtung

8. Professionelle Entwicklung, Reflexion und Dokumentation


1. Elementare Technik im weitesten Sinn

• Elementare Technik hat ihren Anfang in der Lust der Kinder am Werkeln, Tüfteln, selber Tun, Bewegungstechniken erproben, Dinge verändern und mit ihnen hantieren, Objekte verstellen und transportieren, Umräumen, etwas herstellen, Material mit allen Sinnen erkunden, über Naturphänomene staunen und sie befragen, Naturgesetze auskundschaften ...

• Technik „steckt“ in allen „Objekten“, die Menschen geschaffen haben. Die Bandbreite erstreckt sich vom ersten Feuer, das Menschen durch Reibung selbst entfacht haben, zum Salz, das gezielt aus Meerwasser gewonnen wird, bis hin zu Pflanzen, die systematisch angebaut und Hochhäuser, die nach Plan errichtet werden.

• Technische Bildung im Kindergarten, Grundschule und Hort setzt bei dieser grundsätzlichen Sicht auf Technik an.


2. Das Kind, das aus eigenem Antrieb die Welt erkundet

Die Definition elementare Technik und Bild vom Kind hängen eng zusammen: Wenn sich Kinder von Anfang an hochmotiviert mit der dinglichen Umwelt auseinandersetzen und sich zu ihr in Beziehung erproben, dann braucht es vor allem aufmerksame Pädagogen, die die Themen der Kinder aus ihrem Lebensbereich aufgreifen und exemplarisch in Projektform, aber auch bei alltäglichen Anlässen begleiten.


3. Die veränderte Rolle der Pädagogen als Lernbegleiter

Wie definiert sich diese Rolle: Pädagogen sind sorgfältige und wissende Beobachter, die Gespräche führen, Fragen zurückspiegeln, gemeinsam nach Entdeckerstrategien suchen, Lernprozesse unterstützen, Ideen der Kinder begleiten, Material mit hohem Impulswert bereitstellen, Entdecktes gemeinsam auswerten, für ausreichend Raum sorgen, Kindern Zeit lassen, Nachhaltigkeit des Bildungsgeschehens durch vielseitige Dokumentation ermöglichen, entdeckendes und exemplarisches Lernen forcieren, Technik-Lernen in Komplexität anregen und behutsam begleiten ...


4. Methodische Vielfalt

• Ansetzen an den Methoden-Schätzen der Elementarpädagogik und die Schätze weiterentwickeln.

Beispielsweise: Auf etwas aufmerksam werden, beobachten, staunen, inne halten, sich Zeit lassen, die Sache in Ruhe anschauen, sich faszinieren lassen, sich untereinander austauschen, Fragen stellen und gemeinsam Antworten suchen, nachvollziehbare Erkundungen und Experimente planen, durchführen, dokumentieren, reflektieren, mit Naturphänomenen lustvoll und fantasiereich spielen, mit allen Sinnen die Welt erkunden, Forschungsinstrumente untersuchen und einsetzen, Fakten sammeln, Voraussagen treffen, Symbole entwickeln, Tabellen erstellen, Beobachtungen wiederholen, neue Fragen aufwerfen, Forschergemeinschaft erleben, Ideen und Theorien entwickeln ...

... und sich immer wieder neu wundern und freuen über die Schönheit und die Geheimnisse von Natur und Technik.

• Elementares Forschen ist spielerisch, lustvoll, kreativ, handelnd, Werte orientiert und von der pädagogischen Zielrichtung her gesehen zunehmend symbolhaft-abstrakt, ohne die sinnlich-anschauliche Herangehensweise je auszuklammern.

• Schritte: vom Nachfragen, Erforschen zum Selber-Bauen. Wir können gemeinsam ein Stück Welt entdecken, gestalten und ein Problem lösen. Dieses Welt-Gestalten erfordert eine ganze Strecke planvollen, tüftelnden und manchmal auch mühevollen Handelns und Sich-Verständiges (Schlüsselqualifikationen!).


5. Projektarbeit: Projektdynamik und Projektverlauf; Lernen im Alltag

• Projektarbeit hat in der Pädagogik eine lange Tradition. Ein Thema taucht in der Kindergruppe auf. Soll daraus ein Projekt werden? Die fachliche Entscheidung liegt bei den Pädagogen. Sie müssen sich fragen: Ist das ein Inhalt, der Qualitäten von generativen Themen in sich birgt (Warum soll ein Kind darüber etwas erfahren? Auch im Hinblick auf nachhaltige Entwicklung!). Können Kinder da in Schritten selber aktiv werden? Gibt es lustvolle, sinnliche, prägnante Handlungsmöglichkeiten? Möglichkeiten soziales und instrumentelles Lernen zu verbinden? Gefahren: lassen sie sich eingrenzen? Finden wir Bildungspartner, Bildungsorte im Umfeld? ...

• Welche Beobachtungen, Fragen, Ideen und Bedürfnisse von Kindern standen am Anfang „unserer“ Projekte („Es funktioniert?!“ im Zeitraum 2005 bis 2011)?

Beispiele: Unser Wasserrad; die Seifenblasenventilatormaschine; Wir erforschen unser Fahrrad; Wir bauen eine Alarmanlage für unsere Schatzkiste; Entfaltungskünstler - Kinder und Papier (re-)agieren mit Wasser (und Luft); Wir renovieren unser Gartenspielhaus; Die Isar im Sandkasten; Unsere Wetterfrösche; Technik und Müll - ein Streik und seine Auswirkungen; Wir bauen einen Filter für unseren Bach; Wir bauen einen Brummtopf; Der fahrbare Garten für Opa Sepp; Wir reparieren unser Sonnensegel; Haften, Gleiten, Rollen - Wir erforschen den Reibungswiderstand; Knall und Schall; Wenig Kraft, große Wirkung, mit dem Hebel geht es leichter! ...

Wie wird aus einer Anfangsfrage ein Projekt? Jedes Projekt ist einmalig! Qualität ist vielseitig (zu „Projektarbeit als Forschungsmethode“, s. Burtscher 2008, S. 44ff)

• Forschen im Alltag

Elementares Forschen im Alltag ergibt sich andauernd, wir müssen nur unseren Blick schärfen und erweitern. Tiere, Pflanzen, Jahreszeiten, die vier Elemente sind traditionelle Themen der Kindergartenpädagogik. Sie sind auch Themen für elementare Naturwissenschaft und Technik in Alltagssituationen.

Doch es gilt den Blick zu erweitern. Themen, die bisher vielleicht weniger beachtet wurden, aber den forschenden Blick auf die Umwelt bereichern:

die vielen Erscheinungsformen des Schattens, Schattenwurf und elementare Astronomie, Wellen und Wellenforscher Kapitän Beaufort, Windstärke, Lichtspiegelungen und der einfallsreiche Bürgermeister, Wolken und der Wolkenforscher Luke Howard, der Wolkenfan Pretor-Pinney, Luft und der Heißluftballon der Brüder Montgolfiere, Wasser und seine besonderen Eigenschaften, der Wasserläufer, die Regenpfütze, die Tautropfen am Morgen, die Mondsichel, der Sonnenaufgang, Konzepte wie nass und trocken, hell und dunkel, warm und kalt ... (Burtscher 2008)

Ernährung, Kochen, Boden, Luft, Naturkräfte ... können elementar und täglich neu in ihrer Vielgestaltigkeit erforschen.


6. Öffnung nach Außen, Bildungspartner und Bildungsorte

Als Pädagoge kann man nicht alles wissen. Die Kunst liegt darin, Begegnungen mit der Außenwelt gemeinsam mit Kinder gewinnbringend vorzubereiten, zu gestalten und in die eigenen Forschungsthemen zu integrieren.

Bildungspartner suchen, befragen, miteinander andere Kompetenzen „anzapfen“. Werben um Aufgeschlossenheit für das, was Kinder erkunden, bauen, entdecken wollen.

Kinder sollen MeisterInnen ihres Faches kennenlernen, ihnen mit Respekt begegnen und mit Lust nacheifern.


7. Außenwirkung: Kindergarten ist Bildungseinrichtung

Das direkte Umfeld und die Öffentlichkeit erlebt wie sich Kinder heute forschend und handelnd in der Welt der Technik bewegen können.


8. Professionelle Entwicklung, Reflexion und Dokumentation

• Professionelle Entwicklung: Wie geht es mir als Lernbegleiterin? Wie gehe ich mit Themen um, die mir von Haus aus nicht so liegen? Kann ich das Team mitziehen? Was nehme ich für meine professionelle Entwicklung mit?

• Reflexion der Pädagogen: Was wurde bei den Kindern ausgelöst? Einzelbeobachtungen von Kindern. Was ist bei Eltern angekommen? Was ist im Alltag hängen geblieben? Wie blicken Pädagogen auf die Projektphase zurück? Haben sich Kinder als Lerngemeinschaft erfahren können (Partizipation, Ko-Konstruktion)? Nachhaltigkeitsbildung - konkrete Formen von Nachhaltigkeit beschreiben, Lerndynamik, Durststrecken, wie wurden Hindernisse
überwunden ...

• Dokumentation: Dokumentation von Teilschritten, Ergebnissen, Hypothesen; Impulse von Bildungspartnern. „Erinnerungsmaterial“ sammeln und präsentieren. Sprechende Wände zur Reflexion des Projektfortganges. Schritte der Erkenntnis festhalten. Und anderen mitteilen: Eltern, anderen unbeteiligten Kindern ... Haben Eltern erfahren, wie ihre Kinder lernen? Die Kinder dokumentieren mit ihren Möglichkeiten (Forscherheft, Portfolio ...).


Viele PädagogInnen haben als PraxisforscherInnen seit 2005 mit ihren Kindern vor Ort diese Aspekte elementaren Forschens kreativ und eigenständig umgesetzt. Vielleicht auch eine Form von Nachhaltigkeitsbildung?


Literatur

• Burtscher Irmgard M.; Krug Marianne; Schmid Elisabeth u. a.: Es funktioniert?! Kinder in der Welt der Technik. BBW (Hg), Don Bosco, München 2007

• Burtscher Irmgard M.: Naturwissenschaft, Mathematik und Technik. Don Bosco, 2008

• CD-ROM mit Best-Practice-Beispielen aus „Es funktioniert?!“, erhältlich gegen eine Schutzgebühr von 5.- €, bei: Bildungswerk der bayerischen Wirtschaft e. V. (Projektträger), Stephanie Vötter (Projektleitung), Infanteriestraße 8, 80797 München